Sunday, August 2, 2009

Rolf-Peter Wille


Die Dreien hatte ich erledigt. Rechts unten auf H9 fiel die letzte, als es klingelte. Missmutig, mit Bleistift und meinem Sudokurätsel in der Hand, öffnete ich die Haustür. Woody Allen zwinkerte mir zu. So jedenfalls schaute er aus.

“Spurensicherung”, murmelte Woody Allen und drückte mir seine Visitenkarte in die Sudoku Hand. “Soll ich die Schuhe ausziehen?”

“Nein.”

“Soll ich die Schuhe ausziehen?”

“Nein. Sie sehen doch, wie dreckig es ist.” In der Ecke des Wohnzimmers lagen zerknüllte Zeitungen. Aufgerollt war der Teppich. Auf den Treppenstufen lag dick der Staub.

“Sehr gut!”, zwinkerte Woody Allen. “Hier können wir schöne Spuren finden! Ist das Ihr Steinway, Herr Professor?”

“Kann schon sein.”

Der Beamte entzauberte seinem Köfferchen eine kleine Lupe und untersuchte den Staub auf den Elfenbeintasten. Wie ein Doktor bei der Leichenschau - so benahm er sich.

“Ah…, Mondscheinsonate!”, murmelte der Experte. “Wunderbares Legato! Sie nehmen das Gis mit dem vierten…?”

Woody Allen schien seine Arbeit zu lieben. Ich nahm meine Gesamtausgabe der Beethoven Sonaten vom Pult. Recht schwer war sie ja, aber eine angenehme Unterlage für mein Sudoku.

“Von wo ist er reingekommen?”

“Der Einbrecher? Vom Fenster. Im zweiten Stock.”

“Und Sie waren nicht zu Haus.”

“Doch.”

“Was haben Sie gemacht?”

“Ich löste ein Sudokurätsel.”

Woody Allen erwiderte nichts mehr. Schweigend gingen wir hinauf und er begann mit der Spurensicherung in meinem Computerzimmer.

“Handschuhe…”, murmelte er. “Sehen Sie. Keine Fingerabdrücke.” Er untersuchte die zerschlagene Fensterscheibe. Der Dieb war über meinen Balkon eingestiegen.

“Ist er in den dritten Stock raufgegangen?”, fragte Woody Allen.

“Kann schon sein…”, sagte ich missmutig. Ich mag es nicht, wenn man mich beim Sudoku stört.

Der Beamte entnahm der Westentasche eine kleine Taschenlampe und beleuchtete einen Fußabdruck im Staub der Treppe. Dann zog er einen zierlichen Zollstock aus seinem Köfferchen und maß die Schuhgröße.

“Darf ich einmal Ihre Schuhsohle sehen, Herr Professor?”, bat mich Woody Allen. “Aha…, Mephisto…, Schuhgröße 49…, sehr interessant!” Langsam und methodisch leuchtete er sich die Treppe hinauf, maß jeden Abdruck und notierte sich die Ergebnisse. Ich witterte einen leisen Geruch von verwesendem Aas.

“Ist dies Ihr Schlafzimmer, Herr Professor?”

“Kann schon sein.” Ich hatte entdeckt, dass im zweiten Block die Vier auf E2 fallen musste. Die zweite Zeile war fast erledigt.

“Er hinkte etwas auf dem linken Bein. Hier. Sehen Sie, Herr Professor.”

In der dritten Spalte fiel die Vier auf C5.

“Er stürzte genau hier. Sehen Sie, Professor!”

Somit blieb nur noch G7 für die letzte Vier.

“Genau vor dem Kleiderschrank!”, sagte Allen und begann zu schnüffeln. “Machen Sie bitte mal den Schrank auf!”

Sein Kopf quiekte etwas, als ihn meine Gesamtausgabe traf. Zum Glück ist mein Kleiderschrank sehr geräumig. Ich mag das nicht, wenn man mich beim Sudoku stört.


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